Künstliche Intelligenz (KI) sorgt für viel Wirbel, und das aus gutem Grund. Neue Formen des maschinellen Lernens haben das Potenzial, die Produktivität zu steigern, und die vielen möglichen Anwendungen der Künstlichen Intelligenz werden gerade erst entdeckt. Doch ist die Begeisterung des Marktes für diese Technologie zu weit gegangen?
Zu Beginn der Internet-Ära investierten Telekommunikations- und Kabelanbieter Milliarden in die Web-Infrastruktur, während die günstige Finanzierung und die Anlegereuphorie die Kurse der Tech-Aktien in neue Höhen trieben. Doch die Geschäftsmodelle, die zur Nutzung dieser Infrastruktur erforderlich waren, waren noch nicht ausgereift, und die Bewertungen der Tech-Aktien überstiegen die Fundamentaldaten der Unternehmen. Schließlich wurde eine lange Reihe von Start-ups überbewertet, das Kapital versiegte und die Blase platzte.
Manche fühlen sich beim heutigen Aufbau von KI-Servern an die Blütezeit der Dotcoms erinnert, die für die Anleger nicht gut ausgegangen ist. Immerhin werden bis Ende 2024 mehr als 100 Milliarden US-Dollar von Unternehmen, Cloud-Firmen und Staaten in die KI-Infrastruktur investiert werden.
Doch damit enden die Ähnlichkeiten.
KI-Infrastruktur wird durch Umsätze finanziert – nicht durch Spekulationen
Im Gegensatz zu vielen Unternehmen der Dotcom-Ära sind die Mega-Caps, die hinter dem aktuellen Ausbau der Cloud-Infrastruktur stehen, bereits profitabel. Mit Cloud-Infrastruktur werden beträchtliche Umsätze erzielt, von Cloud-Anwendungs- und Infrastruktursoftware bis hin zu Werbung in sozialen Medien. Das spiegelt sich in der Cloud-Kapitalintensität (Investitionsausgaben als Prozentsatz der Gesamteinnahmen) wider, die konstant geblieben ist, weil die aufgebaute Infrastruktur bereits durch die Nachfrage unterstützt wird (Abbildung).
Anstatt das nächste große Produkt zu prognostizieren – eine fehlgeschlagene Taktik des Dotcom-Booms –, investieren die profitablen KI-Unternehmen von heute in erster Linie in die Cloud-Infrastruktur, um die Effizienz zu steigern. Tatsächlich ist das vielleicht die beste Art, Künstliche Intelligenz zu betrachten – als Effizienzsteigerung.
KI-Ausgaben haben weiteres Wachstumspotenzial
Der aktuelle Ausgabenboom konzentriert sich auf den Aufbau der nächsten Ebene der digitalen Infrastruktur – bekannt als „Accelerated Compute“ (beschleunigte Datenverarbeitung) –, wo Generative Künstliche Intelligenz (GKI) nur eine von vielen Anwendungen ist. „Accelerated Compute“ ist eine effizientere Form der Recheninfrastruktur, die sowohl Künstliche Intelligenz als auch Nicht-KI-Arbeitslasten unterstützt – von Empfehlungen für Social-Media-Inhalte über probabilistisches Targeting bis hin zu Simulationen zur Medikamentenentwicklung. Die sich daraus ergebenden Effizienzgewinne führen zu einer schnelleren Verbreitung von Künstlicher Intelligenz als von vielen erwartet.
Die beschleunigte Datenverarbeitung stellt ein neues Paradigma dar, mit dem sich Arbeitslasten bewältigen lassen, die zuvor unpraktisch waren. Das Simulationsunternehmen ANSYS schätzt etwa, dass die Ausführung einer High-End-Aerodynamiksimulation auf beschleunigten Rechnern die Simulationszeit um das 33-Fache beschleunigen könnte.
Und es gibt noch viel weiteres Potenzial. Derzeit werden jährlich zwischen 10 und 15 Millionen CPUs ausgeliefert, verglichen mit weniger als einer Million beschleunigter Server. Wir schätzen, dass weniger als 25% der weltweit installierten Rechenleistung beschleunigt ist (Abbildung), während es vor zwei Jahren noch fast null war.
Sind KI-Aktien überbewertet?
Die Chance auf einen Quantensprung in der Produktivität ist unserer Meinung nach real. Die Einführung und Anwendung der Technologie wird sich jedoch über Jahre hinziehen, und es wird einige Zeit dauern, bis die Anleger die langfristigen geschäftlichen Nutznießer dieses dramatischen technologischen Paradigmenwechsels identifizieren können.
Wir sind an einem Wendepunkt angelangt, der Anfang der 1990er-Jahre begann – eine Reise, die uns vom Schmalband über das Breitband zum Mobilfunk und nun zur Generativen Künstlichen Intelligenz geführt hat. Anstatt diese Phase der technologischen Entwicklung mit der Dotcom-Blase zu vergleichen, halten wir es für sinnvoller, sie als eine Erweiterung des Web 3.0 zu betrachten – ein wesentlich effizienteres, dezentralisiertes Internet, das durch Peer-to-Peer-Netzwerke verbunden ist und durch maschinelles Lernen angetrieben wird.
In diesem Zusammenhang sind wir der Meinung, dass ein gutes Maß an Marktübertreibungen bereits im Jahr 2022 abgebaut wurde, als Technologieaktien stark fielen. Obwohl sich die Technologieaktien von diesem Schock teilweise erholt haben, glauben wir nicht, dass sie so überbewertet sind, wie einige Anleger glauben – und sie sind sicherlich nicht auf dem Niveau der Dotcom-Ära (Abbildung).
Erdbebenartige Technologiezyklen bringen unweigerlich Höhen und Tiefen mit sich. Doch unabhängig von den Marktbedingungen sind wir der Meinung, dass Unternehmen, die durch Künstliche Intelligenz einen differenzierten Wettbewerbsvorteil aufbauen, das Potenzial haben, den Anlegern ein langfristiges Gewinnwachstum zu bescheren.
Wir befinden uns heute in einem sehr frühen Stadium eines transformativen digitalen Infrastruktur-Upgrade- und Produktzyklus. Die Branchentrends deuten darauf hin, dass es sich nicht um eine weitere Technologieblase handelt. Wir glauben, dass Aktienanleger mit einem geduldigen und disziplinierten Ansatz Unternehmen mit nachhaltigen KI-Geschäftsmodellen identifizieren können, die auf echter Profitabilität und nicht auf falschen Versprechungen basieren.
Von Lei Qiu Portfolio Manager—Disruptive Innovation Equities & Wentai Xiao Senior Research Analyst—Disruptive Innovation Equities, AllianceBernstein